Happy Birthday, liebes Textilkennzeichnungsgesetz!

Happy Birthday, liebes Textilkennzeichnungsgesetz!

„Wollpolyestermischung ‚Made in China‘, Cocktailkleid aus Reinseidetaft, 73% Viskose, 22 % Polyamid, 3 % Polyester, 2 % Lurex, wollhaltiges Stichelhaar.“
Hört sich alles furchtbar an, gibt aber immerhin einen Anhaltspunkt, mit was bei einem Kleidungsstück zu rechnen ist. Doch das war nicht immer so.

Denn erst am 15. Januar 1969, also vor 50 Jahren, verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Textilkennzeichnungsgesetz.
Der Abgeordnete Helmut Lenders begründete die Einführung damals folgendermaßen: „Das Textilkennzeichnungsgesetz soll dem Verbraucher, und zwar mit dem Mittel der Rohstoffgehaltsangabe, in Zukunft den Textileinkauf erleichtern.“

Der Gesetzgeber wollte also aufräumen mit den vielen verschiedenen und oftmals verschleiernden Angaben zu den verwendeten Inhaltsstoffen, die hochtönend meist billige Kunstfasern als Qualitätstextilien anpriesen.

Seitdem ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass in jedem Textilerzeugnis dauerhaft und zugänglich, leicht sichtbare und lesbare Etiketten fest angebracht sein müssen. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf Kleidungsstücke, sondern auf alle Produkte, die mehr als 80 Prozent Textilien enthalten. Für Sportartikel und Topflappen aus hitzebeständigen Fasern gilt also das gleiche wie für reißfeste Campingzelte, Kopfkissenbezüge, Tischdecken oder eben einen Pullover aus Bio-Baumwolle

„Liebe auf den ersten Dralon-Blick. Weich leicht und schmiegsam.“
(Werbespruch aus den 60ern)

Ziel des neuen Gesetzes war es, die damals häufig verwendeten Kunstnamen, die meist wenig naturnahe Textilien aufwertend titulierten, durch jene einheitlichen Faserbezeichnungen zu ersetzen, die uns seitdem geläufig sind: Baumwolle, Seide, Nylon, Wolle, Polyester, Viskose oder Elastan usw.
Baumwolle muss also Baumwolle genannt werden und darf nicht etwa als „Schmusestoff“ ausgewiesen werden.

„Diese Information dient der Wahrheit und Klarheit des Angebotes und gibt dem Verbraucher mehr Übersicht über den Markt der textilen Erzeugnisse und erlaubt es ihm, eine bessere Beurteilung der Qualität und der Verwendungsfähigkeit von Textilerzeugnissen beim Einkauf vorzunehmen“, erklärte es der Bundestagsabgeordnete Lenders damals in seiner Rede.

Mit der Einführung des Textilkennzeichnungsgesetzes muss nämlich nicht nur darüber Auskunft gegeben werden, welche Textilien verwendet wurden, sondern in absteigender Reihenfolge auch in welchem Mengenverhältnis. Es geht also nicht, bei einem Oberteil aus billigem Polyester an erster Stelle hochwertige „Seide“ zu nennen, bloß weil ein Seidengarn verwendet wurde.

„Nylon, der Wunschtraum jeder schönen Frau.“ (aus einer Wäsche-Werbung)

Die Verbraucher*innen von heute wissen längst, dass man in Polyester-Kleidung schwitzt und es sich auf der Haut nicht gut anfühlt. Vor der Einführung des Kennzeichnungsgesetzes war es aber weder für sie noch für die Verkäufer*innen in den Fachgeschäften einfach zu wissen, aus was die Kleidungsstücke eigentlich nun genau hergestellt wurden. Deshalb hieß es 1969 im Parlament: „Für Industrie und Handel bringt das Gesetz die Möglichkeit die Rohstoffkennzeichnung, die nunmehr verbindlichen Kriterien unterliegt, in ihre Werbung einzubeziehen und der Handel bekommt für die Kundenberatung gesicherte Grundlagen.“

„Lycra, ob ich die nicht einfach mal koche?“ (aus den 60ern)

Lautes Wehklagen war in den 50er und 60er Jahre aus den Waschküchen der Republik zu hören, als durch den unerfahrenen Umgang mit den neu aufgekommenen Kunstfasern ruinierte Kleider aus den Wäschetrommeln hervorgezogen wurden. Mit den bis dahin üblichen Naturfasern kannte man sich aus. Mit den vielen ungekennzeichneten Materialien aber nicht. Deshalb hieß es wiederum im Bundestag:

„Ebenfalls in dieser Entschließung ist als Aufforderung an die Textilwirtschaft die allgemeine Verwendung der Pflegekennzeichnung angesprochen. Die Pflegekennzeichnung hat ihre Bedeutung für den Verbraucher auf dem Hintergrund der ständigen Neuentwicklung im Bereich der Textilfasern und der zunehmenden Verwendung von Mischgeweben.“

Seitdem sind die Pflegehinweise eine große Hilfestellung, damit das neue Lieblingsteil nicht gleich bei der ersten Wäsche verunstaltet wird.

„Spontan fühlt sich das an wie meine Elfriede“ (Kundin beim Befühlen eines Fellkragens)

Während das Textilkennzeichnungsgesetz einheitliche Faserbezeichnungen, die Mengenangaben der Inhaltsstoffe und die Pflegehinweise sehr genau regelt, lässt es bei anderen Bekleidungsbestandteilen, die keine Gewebe sind, vieles im Unklaren.
Aus was ist der flauschige Bommel an der Wintermütze, der Besatz am Kapuzenkragen oder der Handschuhsaum? Falscher Pelz, echter Nerz oder gar ein armer Hund aus Vietnam?
Auf dem Etikett findet man hierzu in aller Regel lediglich „Nichttextile Bestandteile tierischen Ursprungs“.
Das gibt keinen Aufschluss darüber, um welches Material es sich genau handelt, sondern verwirrt sogar noch zusätzlich. Denn auch ein einzelner Knopf aus Horn wird beispielsweise so gekennzeichnet und lässt die*den Verbraucher*in dann rätseln, ob nicht doch irgendwo Fell verarbeitet ist.

„Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsausschuss war sich darüber im Klaren, dass die Rohstoffgehaltsangabe allein noch nicht ausreichen wird, um Trageeigenschaften, Verarbeitungsqualitäten und Preiswürdigkeiten eines Textilerzeugnisses sicher beurteilen zu können“, beendete der Abgeordnete Helmut Lenders 1969 seine Rede und lag schon damals damit richtig.
Denn längst wissen wir, dass die bloße Angabe „Baumwolle“ noch nichts über die Qualität, ihren Wert und ihren ethische Bedeutung aussagt. Erst zusätzliche freiwillige Siegel geben darüber Auskunft, ob ein Produkt zu 100 Prozent vegan und aus Bio-Baumwolle ist. Ob es frei von giftigen Chemikalien und Farbstoffen und mit ressourcen- und umweltschonenden Verfahren und sozialer Verantwortung für die Menschen hergestellt und fair gehandelt wurde.

Einiges können die Etiketten des 50 Jahre alten Textilkennzeichnungsgesetzes und die neu dazu gekommenen Gütesiegel uns abnehmen.
Die Entscheidung, welche Verantwortung wir als Verbraucher*innen selbst mit unserer Kaufentscheidung übernehmen wollen, müssen wir aber immer selber treffen.



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